Donnerstag, 10. November 2022

Warum die Handschrift nicht aussterben wird

Handgeschriebene Dokumente sind ein besonderer Ausdruck einer Persönlichkeit. Ihre Erstellung erfordert Geduld, intensive Gedankenarbeit und sorgfältige Niederschrift. Im digitalen Zeitalter hat es die mühselige Handschrift schwer, sich neben den Schriftmöglichkeiten der Digitalisierung durchzusetzen.

Kampf um die eigene Schrift als Symbol der eigenen Kultur

Grönland wurde bis 2009 von Dänemark regiert. Die Kultur der Inuit wurde nicht gepflegt, außer von wenigen Einheimischen. Die wenigen Poeten unter ihnen wurden trotzdem in kulturellen Kreisen wie Stars gefeiert. Erst seit der Einführung der autarken Regierungshoheit lernen grönländische Kinder wieder ihre eigene Handschrift zu schätzen. Sie wertschätzen dies als Statussymbol ihres neuen, nationalen Bewusstseins. Auch in modernen Industrieländern bleibt glücklicherweise die Handschrift als wertvolles Erbe erhalten.

Handschrift versus Digitalisierung

Grundschüler erlernen die Handschrift als schwierige Notwendigkeit. Allein das Benutzen eines Füllfederhalters erfordert Übung. Vor allem ist für ein leserliches Schriftbild Geduld nötig. Anders als auf einer Tastatur muss jeder Buchstabe ordentlich ausgeformt werden. Selbst ein Einkaufszettel auf Papier wirkt wie eine Bremse in einem ansonsten hektischen Alltag. Dennoch hat Handschriftliches einen wesentlichen Vorteil gegenüber digitalisierter Schriften: Sie kann ohne Strom, ohne Hardware und Software, sogar ohne Zettel und Stift ausgeführt werden, beispielsweise mit Griffeln auf Schiefertafeln oder Kreide auf Asphalt.

Schreibwerkzeuge als Mittel zum Slow down im Alltagsgetriebe

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren in den Schulen die Tintenfässer und Tuscheköcher am Schultisch fest installiert. Noch etwas zurück in der Geschichte wurde Tinte in einen Federkiel gesaugt und vom Papierbogen mit Sand weggelöscht. Moderner sind Füllfederhalter mit Tintenpatrone, Tintenroller mit Mine und Bleistifte zum Anspitzen. Jedes dieser Schreibgeräte stoppt den Schreiber in seinen Gedanken. Er formuliert erst seinen Gedanken, bringt ihn dann langsam und sauber zu Papier und ist dabei voll und ganz für eine Weile bei dem Inhalt, den er einem bestimmten Empfänger mitteilen möchte.

Was Handschrift mit Schreibern und Lesern macht

Der Schreiber einer Handschrift erlebt eine Art emotionalen Tunnel, wenn er etwas niederschreibt. Auf einer Tastatur oder per Sprachaufnahme geschieht dies nicht. Der Leser erkennt meist an der Handschrift die Gemütsverfassung beim Schreiben. Zwischen aufwändiger Kalligrafie und hingekritzelten Worten können Experten die Bandbreite zwischen liebevoller Hingabe, sachlichem Informationsaustausch und aufgewühlter Stimmung gut erkennen. Es ist wünschenswert, dass persönliche Handschriften trotz Cloud, Spracherkennung und Digitalisierung nicht an Bedeutung als Denkwerkzeug verlieren. Grundschüler lernen vielleicht später den Wert des Handgeschriebenen als kreative Ausdrucksform statt schulische Mühsal kennen.

Charakterschulung durch Schriftenpflege

Die deutsche Handschrift hat sich im Verlaufe der Jahrhunderte mehrmals grundlegend geändert. Für lange Zeit wurde die Kurrentschrift gepflegt. Einige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die spitzere Sütterlinschrift als Erstschrift bei deutschen Schulanfängern eingeführt. Heutzutage ist an alten Dokumenten erkennbar, dass es sich dabei weniger um eine technische als charakterliche Herausforderung handelte. Trotz guter Expertise sitzen heutige Schriftenpfleger manchmal stundenlang am Entziffern einzelner, nachlässig geschriebener Wörter.


Fazit:

Handschriften sind für Historiker wertvolle Zeitzeugnisse, für Völker ein wertvolles Kulturgut. Heutige Schüler lernen noch, von Hand zu schreiben, widmen sich aber viel lieber der sehr viel einfacheren digitalen Schreibvariante. Das Schreiben ohne automatisches Korrekturprogramm sowie mit eigener Hand in schönen Buchstaben wird derzeit eher als Kunstform denn als alltägliche Tätigkeit betrachtet.